Hintergrund

Freitag, 8. Oktober 2010

Jon Gnarr der Bürgermeister von Reykjavik (Island)

Süddeutsche zeitung 3.10.2010

Humor ist, wenn man's trotzdem macht
Wie Jon Gnarr, der bekanntest Schauspieler Islands zum Bürgermeister von Reykjavik wurde: Er gründete die Beste Partei
Vielleicht kann man das, was gerade in Reykjavik passiert, an Ottar Proppe und Einar Örn Benediktsson illustrieren. Bei einem Besuch vor zwei Jahren mailten die beiden Experimental- und Punkmusiker auf die Frage nach einem Treffen jeweils sinngemäß zurück: 'Wann Sie wollen, wo Sie wollen. Und schauen Sie mal in diesen oder jenen Plattenladen. P.S.: Heute Abend ist Konzert.' Diesmal schicken beide immer wieder extrem kurze Botschaften von ihren Blackberrys, sie haben jetzt doch noch eine Sitzung, ob wir uns doch erst um fünf Uhr treffen können. Klar. Gerne, kann man noch herumlaufen in diesem schönen Städtchen.

Reykjavik im Herbst 2010: Junge Menschen kurven auf bunten Rädern an den legokleinen Häuserschachteln vorbei. Die Luft ist kalt und klar, hinterm Horizont liegen Grönland und der dunkle Winter. All die Geschäfte, deren Inhaber vor zwei Jahren glaubten, sie könnten zumachen, stehen trotz der Krise immer noch da. In einem der Buchläden lag damals 'Kreppuspilid' aus, das 'Krisenspiel', das einen durch den Wahnsinn des neoliberalen Wirtschaftens führte und das für ausnahmslos jeden Spieler im Bankrott endete. Eine typische Ereigniskarte lautete: 'Gehe auf eine Demonstration, halte vorher an einem Laden, um dich mit Eiern zu munitionieren, nur um zu merken, dass sie über Nacht so teuer wurden, dass du sie dir nicht mehr leisten kannst.' Es waren die Tage, in denen die Isländer mit Kochtöpfen und Bratpfannen vors Parlament zogen, um die Regierung zum Rücktritt zu bewegen.





'Ist leider ausverkauft', sagt die Buchhändlerin. 'Dabei bräuchten wir das Spiel wieder. Nur in einer härteren Version.' Warum? Die Frau spreizt ihre Finger und kriecht damit spinnenartig durch die Luft: 'In China gibt es doch diese brennenden Kohleflöze. So ähnlich frisst sich die Krise hier fest. Langsam. Unterirdisch. Ohne dass es eine Chance gäbe, das Ganze zu löschen. Wobei - die Flöze kann man riechen. Hier sehen Sie nichts. Oder sehen Sie mir was an? Ich muss nächste Woche meine Wohnung räumen und zu meinem Sohn ziehen.' Die Frau, sie will nur als Eva in der Zeitung stehen, sagt, das Schlimmste sei, dass 'diejenigen, die die Flöze angezündet haben, unsere Scheiß-Modernen-Wikinger, über alle Berge sind.'

Die modernen Wikinger, so sah sich die Handvoll Unternehmer, die nach der Jahrtausendwende, den Weltmarkt aufrollten: Es gab da diese Oligarchen, denen die Banken verkauft worden waren und die jetzt dänische Firmen und englische Fußballclubs kauften. Island galt als weltweiter Musterknabe. Vierthöchstes Pro-Kopf-Einkommen, kaum Arbeitslose. Die Leute kauften Häuser, Autos, Schiffe. Alles auf Pump. Im Nachhinein wirkt es, als sei das ganze Land auf Koks gewesen. Damals aber kürte eine OECD-Studie noch kurz vor dem Crash Island zur 'zukunftsfähigsten Region Europas', vor allem wegen seiner tollen Banken. Und die isländische Wirtschaftskammer schlug vor, Island solle sich 'nicht mehr mit den skandinavischen Ländern vergleichen, da wir ihnen auf den meisten Gebieten überlegen sind'.

Und dann, vor genau zwei Jahren, kollabierten über Nacht alle drei Banken des Landes. Der ganze Hype war auf Pump aufgebaut gewesen. Die Schulden, die die Oligarchen in ihren Banken angehäuft hatten, waren zwölfmal größer als das Bruttosozialprodukt. Und die Schulden der Kleinanleger vervielfachten sich, weil der Kurs der isländischen Krone abstürzte, die Kredite zur Finanzierung der Besitztümer aber in ausländischen Währungen abgeschlossen worden waren.

Jetzt sind 30 Prozent der Haushalte überschuldet, Tausende müssen Häuser und Wohnungen verlassen, die sie nicht abbezahlen können. Die Menschen sind empört darüber, dass auch zwei Jahre nach dem Desaster keiner der Verantwortlichen angeklagt wurde. Dass die oligarchischen Strukturen nicht wirklich aufgebrochen wurden.

Dass David Oddson, der Mann, der in seiner Zeit als Ministerpräsident die Privatisierung der Banken vorantrieb und der später als Präsident der Zentralbank dabei zusah, wie die Blase immer größer wurde, nicht belangt wird, sondern als Chefredakteur der größten Tageszeitung schamlos agitiert. Dass - die Buchhändlerin zählt weiter auf, so wie sie es alle tun: Sobald man nur eine Frage stellt, sprudeln sie los, als würde man bei einer oft geschüttelten Sprudelflasche den Deckel aufdrehen. 'Ach, wissen Sie was', unterbricht sie sich, 'nehmen Sie einfach das hier.' Sie nimmt eine DVD aus dem Regal, von deren Cover einen ein spießiger Griesgram mit Halbglatze anknurrt. 'Jon Gnarr. Genauso böse wie das Krisenspiel. Genauso witzig. Und außerdem zeigt er gerade allen, wie man"s richtig macht.'

Im Januar sagte der Schauspieler Jon Gnarr, ihm reiche es mit dem Lavieren der Politik, er gründe jetzt selbst eine Partei. Gnarr, einst Schulabbrecher, Taxifahrer, Behindertenpfleger, Bassist der Punk-Band Die triefenden Nasen, ist heute der bekannteste Schauspieler Islands. Die Leute lieben ihn, vor allem für seine Rolle des verbiesterten, ordnungsfanatischen und rührend gehemmten Tankwarts Georg Bjarnfredarson, dessen Leben schon Stoff für drei Fernsehserien und einen Kinofilm lieferte. Gnarr fragte damals ein paar befreundete Musiker und Künstler, ob sie mitmachen wollen. Sie nannten sich 'Beste Partei', weigerten sich, Spenden anzunehmen, schalteten Kleinanzeigen statt Plakate zu kleben, und konzentrierten sich ansonsten auf das, was sie am besten können: Singen, Spielen, Witze - und legten so wahrscheinlich einen der phantasievollsten Wahlkämpfe der Demokratiegeschichte hin. Da Ottar Proppe gerade wieder eine SMS schickt, dass es noch später werde mit dem Treffen, bleibt Zeit, sich auf YouTube das Video anzuschauen, in dem sie Tina Turners Song 'Simply The Best' covern:

Liebe Grüße isabel

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